Gero P. Weishaupt
                                                            Gero P. Weishaupt                                                                                       

Eucharistische Hochgebete

 

In der Apostolischen Adhortation Sacramentum Caritatis heißt es:

 

„Die verschiedenen im Meßbuch enthaltenen eucharistischen Hochgebete sind uns von der lebendigen Überlieferung der Kirche übergeben worden; sie zeichnen sich aus durch einen unerschöpflichen theologischen und spirituellen Reichtum.[1]

 

Wenn Benedikt XVI. in dem Dokument schreibt, das die Eucharistischen Hochgebete „von der lebendigen Überlieferung der Kirche übergeben worden“ sind, dann kann dies im eigentlich wörtlichen Sinn nur vom ersten und - im Blick auf die antike Vorlage - vom zweiten Eucharistischen Hochgebet gesagt werden. Das dritte und vierte Hochgebet sind Neuschöpfungen der nachkonziliaren Liturgiereform, die allerdings in Form und Inhalt traditionellen Vorgaben, namentlich ostkirchlichen Vorbildern, folgen. Vor allem in stilistischer Hinsicht[2] weichen die drei hinzugefügten Hochgebete vom herkömmlichen Canon Romanus ab, der im Missale Pauls VI. weiterhin als das erste Eucharistische Hochgebet gilt.

 

Dieses ist von seinem Ursprung her das eigentliche römische Hochgebet. Der Canon Romanus ist in Rom in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden[3] und war bis 1968 das einzige Eucharistische Hochgebet im Römischen Ritus der Katholischen Kirche. Am 23. Mai 1968 wurden weitere drei Hochgebete eingeführt.[4] Das zweite Hochgebet stellt eine Überarbeitung eines altkirchlichen Formulars aus der Traditio Apostolica des Hippolyt (ca. 215 n. Chr.) dar.[5] Allerdings werden gegenüber der Überarbeitung ernst zu nehmende theologische Bedenken geäußert, die zur Frage berechtigen, ob der Text im Missale Pauls VI. mit der ursprünglich griechischen und späteren lateinischen Vorlage inhaltlich übereinstimmt.[6] Das dritte und das vierte Hochgebet sind neu geschaffen worden,[7] wobei das dritte von gallikanischen, spanisch-mozarabischen und griechischen Vorbildern inspiriert ist,[8] das vierte in Aufbau und Inhalt ostkirchlichen Vorgaben folgt.[9]

 

Neben diesen vier (allgemeinen) Hochgebeten hat die Editio Typica des Missale Romanum von 2002 im Anhang vier sogenannte „Schweizer Hochgebete“ - die Entwürfe dazu wurden für die Schweizer Synode von 1972 verfasst - aufgenommen. Sie waren 1975 approbiert worden und sind für besondere Anlässe vorgesehen. Darüber hinaus hat die Gottesdienstkongregation 1974 die Zustimmung für den Gebrauch von Hochgebeten für Messfeiern mit Kindern erteilt. Es handelt sich dabei um drei zusätzliche Hochgebete. Im Zusammenhang mit dem Heiligen Jahr 1975 wurden  erneut  zwei Hochgebete zum Thema „Versöhnung“ zugelassen.[10]

 

Das Zweite Vatikanische Konzils hat die Schaffung von Eucharistischen Hochgebeten nicht vorgesehen; die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium gab dazu keinen Auftrag. Die die Eucharistiefeier behandelnden Artikel im dritten Kapitel der Konstitution betreffen die biblischen Lesungen (Art. 51), die Homilie (Art. 52), die „Fürbitten“ (Art. 53), die Sprache (Art. 54), die Kommunion unter beiden Gestalten (Art. 55) und die Konzelebration (Art. 57-58). Die Schaffung drei weiterer Hochgebete ist das Resultat der Konzilskommission zur Durchführung der Liturgiekonstitution. Doch schon nach Einführung der drei allgemeinen Hochgebete in das Missale Romanum Pauls VI. wurde Anfang der 1970er Jahre der Wunsch nach weiteren Hochgebeten wach, die für besondere Anlässe Verwendung finden und der Sprache und dem Geist der Zeit mehr entsprechen sollten. Darüber hinaus sind zahlreiche Hochgebete zu Studienzwecken verfasst worden und haben Priester entgegen den Bestimmungen der Zweiten Vatikanischen Konzils und den ausdrücklichen Verboten der Bischöfe selber Texte zusammengestellt.[11]

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hat im Zusammenhang mit seinen Bedenken gegenüber falsch verstandenen Anpassungsbestrebungen und dem daraus resultierenden übertriebenen Hang nach Kreativität die ekklesialen und universalen Gesichtspunkte der Eucharistiefeier betont (siehe oben). Die Messe ist nicht Feier irgendeiner Privatperson oder einer örtlichen Gemeinschaft, sondern Feier der ganzen Kirche. Sie ist Feier der Einheit der Gläubigen, des einen mystischen Leibes Christi, der einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Das Eucharistische Hochgebet ist das Zentrum der heiligen Messe, „Mitte und Höhepunkt der ganzen Feier“[12]. In seiner Herzmitte vollzieht sich auf unblutige Weise das Kreuzopfer Christi und mit und in ihm das Opfer der Kirche. Das fordert noch mehr Behutsamkeit bei Reformen an diesen sakralen Texten  als bei jedem anderen Teil des Messordo. Anpassungen dürfen nicht auf Kosten der Einheit der lex orandi und lex credendi erfolgen. Anstatt Anpassungen der Texte der Hochgebete an Sprache und Geist der Zeit oder gar dem entsprechender Neuschöpfungen ist eine eingehende Katechese über Wesen und Inhalt des Hochgebetes notwendig.

 

Bei einer Reform der Reform des Messordo sollte darum die ausschließliche Verwendung der vier allgemeinen Eucharistischen Hochgebete erwogen und ein Ausschluss aller anderen Hochgebete bedacht werden.[13] Wegen seiner Verankerung in der kirchlichen Tradition, seines theologischen Inhaltes, seines Ursprungs in der Kirche von Rom und seiner stilistischen Prägnanz und Eleganz,[14] die in seinem lateinischen Originaltext zum Leuchten kommt, sollte die Verwendung des Canon Romanus die Regel sein, die drei anderen Hochgebete nur in begründeten Ausnahmen vorgetragen werden.[15] Indem der Römische Kanon diese Vorrangstellung in einem reformierten Missale Romanum Pauls VI. einnimmt, wird die Einheit zwischen der ordentlichen Form und der außerordentlichen Form des Römischen Ritus, dem Missale Romanum Pius V., noch deutlicher hervorgehoben.[16]

 


[1]          Sacramentum Caritatis, Nr. 48.  (Deutsche Übersetzung: Libreria Editrice Vaticana.)

[2]          Vgl. hierzu die Anmerkungen von K. GAMBER, Fragen in die Zeit, 87: „Sie sind nach Vorlagen orientalischer Texte neu geschaffen und zum mindesten vom Stil her innerhalb des römischen Ritus Fremdkörper. Zudem werden von Theologen gegen manche Formulierungen Bedenken erhoben. Die orientalischen Riten haben einen anderen Aufbau des Eucharistiegebetes - es wird hier ‚Anaphora‚ = Opfergebet genannt - als der Canon. Während im römischen Ritus der 1. Teil, das eigentliche Dankgebet (die Präfation), variabel ist, haben die Gebete um den Einsetzungsbericht stets den gleichen Wortlaut; daher auch der Name ‚Canonica prex‘(festgelegtes Gebet) bzw. später ‚Canon missae‘.“

[3]          J. HERMANS, Die Feier der Eucharistie, 267.

[4]          Ibid., 267.

[5]          Ibid., 268: „Bevor die römische Kirche zum Lateinischen als liturgischer Sprache überging, wurde das Griechische verwendet. Das wichtigste Zeugnis dieser ersten Periode ist Hippolyt. In seiner ‚Traditio Apostolica‘ aus dem Anfang des 3. Jh. bringt er schon den Text eines Hochgebetes, das dem heutigen zweiten Hochgebet des neuen Missale zugrunde liegt. Der Text des Hippolyt wurde beim heutigen zweiten Hochgebet als Basis genommen und an vielen Stellen wörtlich wiedergegeben. Einige Elemente wurden in den Text des Hippolyt eingefügt.“ Dennoch zeigt ein Vergleich des in das Missale Romanum Pauls VI. verwendeten Textes mit dem Original, dass das Vorbild stark verändert worden ist. So Th. SCHNITZLER, Was die Messe bedeutet. Hilfen zur Mitfeier, 8. Auflage, Freiburg 1976, 148.

[6]          Vgl. die eingehende Untersuchung von H.-L. BARTH, Die Mär vom antiken Kanon des Hippolytos. Untersuchungen zur Liturgiereform, Editiones Una Voce, Köln 1999. Barth weist nach, dass sich in der Version des Missale Romanum Pauls VI. einige wichtige christologische Aussagen, die in der Vorlage des Originals stehen, ausgelassen worden sind.

[7]            J. HERMANS, Die Feier der Eucharistie, 269: „Das dritte Hochgebet ist ganz neu. Es ist die Bearbeitung eines Konzeptes, das 1966 von dem italienischen Liturgiewissenschaftler C. Vagaggini publiziert wurde. Nach Aufbau und Inhalt schließt sich dieses Hochgebet am meisten an den traditionellen römischen Kanon an. Es hat keine eigene Präfation, und mehrere Formulierungen stimmen mit dem ersten Hochgebet überein. Es wurde darauf hingewiesen, daß man im dritten Hochgebet den alten Kanon nach den neuen Strukturgesetzen umgeformt hat.“

[8]          Vgl. W. LANG, Die Liturgie der heiligen Messe. Ein Beitrag zur liturgischen Erneuerung, München 2005, 71.

[9]          J. HERMANS, Die Feier der Eucharistie, 269: „Während das zweite Hochgebet sich eng an das des Hippolyt (römisch-griechische Tradition) anschließt und das dritte stark mit dem ersten römischen Kanon übereinstimmt (römisch-lateinische Tradition), ist das vierte Hochgebet am meisten von der Ostkirche hier (sic) inspiriert: Es geht zurück auf die Apostolische Konstitution aus Antiochien. Spezifisch für dieses Hochgebet ist die Tatsache, daß das Sanctus - viel mehr als in der westlichen Tradition - ein integrierender Teil des Lobpreises ist, der in der Präfation einsetzt und auf das Sanctus übergeht.“

[10]          Ibid.., 270.

[11]        Ibid., 265. Der Autor zitiert aus den Nummern 3-6 und 11 der Instruktion Eucharistiam Participationem der Gottesdienstkongregation vom 27. April 1973.

[12]        Sacramentum Caritatis, Nr. 48.

[13]        Was die Frage nach dem Sinn und die Berechtigung des Gebrauchs von Eucharistischen Hochgebeten für Messfeiern mit Kindern angeht, so scheint es angebracht zu sein, einige grundsätzliche Gedanken Klaus Gambers zur aktiven Teilnahme von Kindern in der Messe anzuführen, die es zu bedenken gilt und die mutatis mutandis auch auf die in der Messfeier mit Kindern zum Vortrag kommenden Texte, insbesondere das Eucharistische Hochgebet, anzuwenden sind: „Wenn wir heute … an das Problem der Einbindung der Kinder in den Gottesdienst herangehen wollen, wird es darum gehen, primär einmal zu überlegen, was Liturgie ihrem Wesen nach ist. Nur dann läßt sie sich entsprechend ‚gestalten‘. Völlig fern war einst der Gedanke, der Gottesdienst würde um so ansprechender, um so authentischer, je weniger er sich vom Alltag abhebt und je mehr er das tägliche Leben hereinnimmt. Er soll nach heutigem nachkonziliaren Verständnis kurz und präzise sein, sachlich, nüchtern, auf alles ‚Überflüssige‘ verzichtend, konzentriert auf das Wesentliche. Dabei ja nichts zweimal! Nur noch der Kern! Ohne Umhüllung. Aber wo die Hüllen fallen, die einst über dem heiligen Geschehen lagen, wo die Feierlichkeit verloren gegangen, wo alles durchsichtig geworden ist, da geht auch das Mysterium verloren. Es ergibt sich dem direkten Zugriff nicht. Nur unter dem Schleier, gewoben von Ehrfurcht und Verehrung, läßt es  sich finden - erleben. Die alles spüren schon die kleinen Kinder, auch wenn sie mit ihrem Verstand direkt noch nicht erfassen können, was in der Kirche geschieht. Sie spüren das Faszinosum, das Hereinbrechen Gottes. Sie spüren, daß sie mit dem Eintritt ins Gotteshaus in eine andere Welt gekommen sind, die sich sowohl vom Elternhaus als auch vom Schulzimmer unterscheidet. Und es liegt an uns, sie mehr und mehr in diese andere Welt einzuführen - langsam und behutsam, ohne jeweils zu überlegen, ob die Kinder auch alles schon mit dem Verstand begreifen können. Sie sollen das liturgische Geschehen primär mit dem Herzen und mit ihren Sinnen erfassen. Vor allem aber sollen sie Ehrfurcht lernen, Ehrfurcht vor dem, was vorn am Altar geschieht.        Liturgie ist Dienst vor Gott, ein Geschehen, bei dem sich Himmel und Erde begegnen, ein Teilnehmen am liturgischen Geschehen vor dem Throne Gottes, ein Beisammensein mit den Engeln und Heiligen, eine Begegnung auch mit unseren Toten. Dies kann man den Kindern sehr wohl erklären - und sie verstehen es auch, vielleicht intensiver sogar als die Großen. Kinder sind meist unverbildet in ihrem Empfinden, sie sind aufnahmefähiger als die Erwachsenen, vor allem für sinnhafte Eindrücke im Gottesdienst - die Bilder, die Kerzen, die Prozessionen, den Weihrauch, vor allem aber die Gesänge. Liturgie ist aber nicht zuletzt auch ein fesgelegter Ritus: Formen des Gottesdienstes, die sich langsam durch die Jahrhundete hindurch entwickelt haben, die deshalb auch nicht der Kreativität des Priesters oder gar der Kinder unterliegen dürfen. Änderungen bzw. Anpassungen an die Zeit und gegebenen Verhältnisse müssen behutsam vorgenommen werden. Echte Tradition ist offen für Neuerungen, wenn sie tatsächlich notwendig sind oder positiv wirken, sie muß aber verschlossen sein für unnötige Experimente am Heiligen und im Heiligtum. Kinder lieben es, immer wieder dasselbe zu tun oder zu hören. Sie wehren sich, wenn man ihnen z.B. ein Märchen mit anderen Worten erzählen will. Deshalb wurde es früher auch als so wichtig angesehen, daß die Kinder von frühester Jugend an in eine festen Ritus hineinwuchsen und bestimmte Formen und Gebete lernte. Geben wir den Kindern im Gottesdienst einen festen Halt und eine geistige Heimat für ihr ganzes Leben.“ In: K. GAMBER, Fragen in die Zeit, 130 f.

[14]        Darauf macht Th. SCHNITZER, Was die Messe bedeutet, 141 f., aufmerksam: „Auch die Diktion des Römischen Kanons, seine Vermeidung von Superlativen und hochfliegenden Bildern, seine Nüchternheit und Kargheit sind typisch antik römisch. Die spätrömische Nachklassik eines Leo des Großen hätte sich schwungvoller ausgedrückt. … Doch ist der Kanon bei aller Nüchternheit ein Kunstwerk. Sein Geheimnis besteht in der geordneten Klarheit des Parallelismus. Wie die Säulen einer altrömischen Kirche zum Altar hinstreben, so laufen die Strophen zur Wandlung vorwärts und von der Wandlung zurück und entsprechen einander. … Ein anderes Formprinzip des Römischen Kanons ist die Einteilung in Verse. Zwar geht es nicht um Verse mit Klangreimen, sondern um Verse des sogenannten Cursus. Die Enden der Halbsätze und Sätze sind in einem wechselnden Prosaversmaß geformt. So hat auch Leo der Große seine Predigten gefeilt, so haben viele Rhetoren und Schriftsteller ihre Werke niedergeschrieben. Der Cursus gibt eine geheimnisvolle Musikalität in den Fluß der Sprache,  gibt einen untergründigen Kastagnetten-Rhythmus. Die deutsche Sprache kann das kaum nachahmen, und doch bleibt vom Cursus des lateinischen Vorbildes noch in der Übersetzungen eine leise Erinnerung hängen. Dadurch erweist der Römische Kanon viel stärker als die anderen Hochgebete seinen Liedcharakter. Er deklamiert nicht, er rezitiert nicht, sondern singt seine preisenden und bittenden Aussagen. Er verdiente statt des Titels Hochgebet eher den Namen Hoheslied. Man möchte bedauern, daß man seine Verse und Strophen nicht so konsequent wie die einstige Taufwasserweihe oder das Exsultet in gregorianisches Rezitativ hineingegossen hat. Im Singen würde man die Länge des Liedes vergessen.“

[15]        Bereits die Institutio Generalis von 2000 sagt in Nr. 364 a) ausdrücklich, dass der Römische Kanon immer verwendet werden kann: Prex eucharistica prima, seu Canon Romanus, qui semper adhiberi potest, ….“

[16]       Bei der Wandlung, der Herzmitte des Eucharistischen Gebetes, vollzieht sich der Opferakt Christi. Unter den Gesalten vorn Brot und Wein ist er wahrhaft gegenwärtig.  Papst Pius V. hat aus gutem Grund eine Kniebeuge auch vor der Elevation der konsekrierten Gestalten vorgeschrieben. Vorher bestand der Brauch, dass der Priester sich vor der Elevation verneigte. Vgl. M. GAUDRON, Die Messer aller Zeiten, 130. Der Novus Ordo Pauls VI. kennt nur die Kniebeuge nach der Elevation. Weil die Kniebeuge vor der Elevation jedoch ein ausdruckstarkes Ehrfurchtszeichen ist und den Glauben an den nach der Konsekration gegenwärtigen Herrn bekundet, sollte eine Reform des Missale Romanum Pauls VI. die Kniebeuge vor der Elevation wieder berücksichtigen.

 

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