Gero P. Weishaupt
                                                            Gero P. Weishaupt                                                                                       

Stilisierungen

 

Romano Guardini schreibt in seinem Büchlein „Vom Geist der Liturgie“ über das Wort „Stil“:

 

„Es meint, daß in dem betreffenden Gebilde das Einzelhafte vor dem Allgemeinen zurücktritt. Das Zufällige, zeitlich und örtlich Bedingte, das, was nur für diesen bestimmten Menschen, dieses bestimmte Wesen gilt, wird von dem zurückgedrängt, was notwendig, wenigstens notwendiger ist, was für viele Zeiten, viele Orte und Menschen steht. Das Besondere ist in hohem Maße durch das Urbildliche aufgesogen. … Im geschichtlichen, einmaligen Geschehnis wird die überzeitliche, allgemeine Lebensbedeutung hervorgehoben. Die nur einmal auftretende Persönlichkeit wird zur Verkörperung gemeinschaftlicher Züge umgestaltet. Die rasche, eigenwillige Bewegung wird abgewogen, gemessen. Während sie vorher ganz an die gerade gegebenen Verhältnisse, an eine bestimmte Veranlagung gebunden war, kann sie jetzt bis zu einem gewissen Maße von jedem übernommen werden. Dinge, Geräte, Werkzeuge werden ihrer zufälligen Art entkleidet, ihre Grundformen herausgearbeitet. … Die einfache Wirklichkeit, die immer ganz besonders ist, wird von ihr in der Weise umgestaltet, daß das Urbildliche hervortritt; sie wird umgeformt, „stilisiert“. Immer dann empfinden wir „Stil“ im engeren Sinn des Wortes, wenn das wirr-mannigfaltige Leben eine solche Vereinfachung erfahren hat, wenn seine innere Gesetzmäßigkeit betont und es aus dem Besonderen ins Allgemeine gehoben ist. … Die Liturgie hat (wenigstens im größten Teil ihres Bezirkes) Stil im strengen Sinne. … Stets ist im Bereich der Liturgie die geistliche Ausdrucksform, sie sei nun Wort oder Gebärde, Farbe oder Gerät, bis zu einem gewissen Maße ihrer einzelhaften Bestimmtheit entkleidet, gesteigert, beruhigt, ins Allgemeingültige erhoben.[1]

 

Stilisierung einer Handlung mein, daß sie nicht so ausgeführt wird, wie man sie im Alltag ausführt, sondern so umgeformt wird, dass sie das rein Funktionale übersteigt. In diesem Sinn ist ein gewisses Maß an Stilisierung dem Wesen der Liturgie höchst angemessen. Zu ihr gehört der latreutische, der kultische Aspekt. Liturgie ist Anbetung Gottes. Liturgie weist über das Alltägliche hinaus,

 

„indem sie uns an der Existenzweise des ‚Himmels‘, der Welt Gottes beteiligt und damit das Licht der göttlichen Welt in die unsrige fallen lässt. In diesem Sinn hat der Kult … den Charakter einer Antizipation. Er greift voraus auf ein endgütigeres Leben und gibt gerade so dem gegenwärtigen Leben sein Maß. Ein Leben, in dem diese Antizipation ausfiele, in dem der Himmel nicht mehr aufgerissen würde. würde bleiern und leer.[2]

 

Die liturgischen Handlungen sollen sich darum vom rein Profanem unterscheiden und so ausgeführt werden, dass sie das Sakrale ansichtig machen.

 

Subjekt dieses Kultes ist einzig Christus. Liturgie ist das Werk des Gott-Menschen Jesus Christus, der in ihr durch die Kirche das Werk der Erlösung vollzieht.

 

„In der Liturgie wird … der jeweilige historische Augenblick überschritten in den bleibenden göttlich-menschlichen Akt der Erlösung hinein. In ihr ist Christus das eigentlich tragende Subjekt - sie ist Werk Christi; in ihr zieht er aber die Geschichte an sich, eben in jenen bleibenden Akt hinein, der der Ort unserer Rettung ist.[3]

 

In der gottmenschlichen Dimension des Kultes kommt dem Leib und seinen Gebärden als Weise des Ausdrucks des Unsagbaren, des Geheimnisses eine wichtige Funktion zu:

 

„Die Einbeziehung des Leibes, um die es im Gottesdienst des fleischgewordenen Wortes geht, drückt sich in der Liturgie selbst in seiner gewissen Zucht des Leibes aus, in Gebärden, die aus dem inneren Anspruch der Liturgie erwachsen sind und sozusagen körperlich ihr Wesen versichtbaren. Diese Gebärden können im Einzelnen in verschiedenen Kulturkreisen variieren, gehören aber in ihren wesentlichen Formen zur Kultur des Glaubens, die sich vom Kult her gebildet hat; sie überschreiten daher als gemeinsam Ausdruckssprache die kulturellen Räume.[4]

 

Aus dem Wesen der Liturgie sind daher stilisierte, d.h. dem Alltäglichen entzogene Gesten, Gebärden, Bewegungen und Körperhaltungen notwendig, damit die „Existenzweise des ‚Himmels‘, die Welt Gottes … und damit das Licht der göttlichen Welt“ im kultischen Vollzug erfahrbar wird.

 

Die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium hat in Artikel 1 angeordnet, dass bei der Erneuerung die Texte und Riten so geordnet werden sollen,

„daß sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, daß das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.[5]

 

Bei der Erneuerung wurde als Norm festgelegt: 

 

„Schließlich sollen keine Neuerungen eingeführt werden, es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nutzen de Kirche verlange es. Dabei ist Sorge zu tragen, daß die neuen Formen aus den schon bestehenden gewissermaßen organisch herauswachsen.[6]

 

Das Konzil ruft hier zur Kontinuität auf und nicht zum Bruch. Riten sollen nur da erneuert werden, wo es dem Nutzen der Kirche förderlich ist. Erneuerte Formen müssen dabei aus den alten organisch herauswachsen. Josef A. Jungmann konkretisiert diesen Auftrag der Konzilsväter wie folgt:

 

„Reform der Liturgie kann nicht Revolution sein. Sie muß den wirklichen Sinn und die Grundstruktur der überlieferten Riten zu erfassen suchen, und sie muß diese, in behutsamer Verwertung schon vorhandener Ansätze, in der Richtung auf die pastoralen Bedürfnisse eines lebendigen Gottesdienstes organisch weiterbilden.[„7]

 

Die Liturgiereform hat - vor allem im Hinblick auf das Leitmotiv der besseren Teilnahme der Gläubigen - zu einer Vereinfachung der Messfeier geführt. So wurden Verdoppelungen, die im Laufe der Jahrhunderte eingetreten sind, beseitigt, Kreuzzeichen und Kniebeugen reduziert. Die Frage ist, ob die Reform hier und da nicht zu weit gegangen ist. Bei manchem, was abgeschafft, erneuert oder nur als fakultativ auszuführen beibehalten worden ist,  stellt sich die Frage, ob es dem „Nutzen der Kirche“ dient oder nicht besser doch bewährte überlieferte Formen übernommen hätten werden sollen. Durch die Aufrechterhaltung mancher Formen aus der überlieferten liturgischen Gestalt der heiligen Messe wäre tatsächlich eine „Rückbindung im zeremoniellen Erscheinungsbild der Liturgie - in ihrem Phänotyp“[8] eindeutiger erfolgt:

 

„Hier hat der neue Ritus vieles verloren, obwohl die Entwicklung der Liturgie … gerade hier zur Bereicherung drängt. Die Gesten und Bewegungen könnten weitgehend geprägt sein vom alten Ordo. … Es wäre wünschenswert, wenn durch die Struktur der Zeremonien noch etwas vom alten Ordo erkennbar ist. So würde sich langsam wieder ein liturgischer Stil im eigentlichen Sinne des Wortes entwickeln. Dies ist nicht nur eine äußere ars celebrandi, ein äußerer Ästhetizismus, sondern eine solche Praxis bindet die neue Form an ihre eigene Geschichte in den konkret gewachsenen Gesten und manifestiert zugleich mit dem Gesetz der Stilisierung den Bereich des Sakralen.[9]

 

Als ein konkretes Beispiel eines stilisierten Ritus führt Sven Conrad das Niederstellen des Kelches bei der Opferung der Gaben von Brot und Wein an. Wie im überlieferten Messordo sollte der Priester zuvor mit dem Kelch ein Kreuzzeichen machen und ihn dann erst auf das Korporale setzen.[10] Dadurch wird die Handlung nicht so ausgeführt, wie man es im Alltag, im profanen Bereicht, tut, sondern stilisiert, insofern sie aus dem Alltäglichen herausgenommen und umgeformt wird, gleichsam transzendiert in den Bereich des Sakralen. Durch die Stilisierung wird das Niederstellen des Kelches zur heiligen Handlung umgewandelt, die liturgische Geste tritt ein in die „Existenzweise des ‚Himmels‘, der Welt Gottes“ und lässt „das Licht der göttlichen Welt in die unsrige fallen„.[11]

 

Es wäre die Aufgabe einer „Reform der Reform“ des Missale Pauls VI., angemessene stilisierte Handlungen und Gesten vermehrt und mit präzisen Angaben in den Rubriken wieder einzuführen, wobei an den alten Rubrikenbüchern, die die Zeremonien beschreiben, Maß zu nehmen wäre.

 


[1]          R. GUARDINI, Vom Geist der Liturgie, 2. Auflage, Freiburg im Breisgau 1991,  61-63.

[2]          J. RATZINGER, Gesammelte Schriften, 38.

[3]          Ibid., 640.

[4]          Ibid., 151.

[5]          SC, Art. 21. Übersetzung: LThK.

[6]          SC, Art. 23. Übersetzung: LThK.

[7]          J.A. JUNGMANN, Kommentar zu Art. 23 von Sacrosanctum Concilium, in: LThK I, 34.

[8]          S. CONRAD, Erneuerung der Liturgie, 26.

[9]          Ibid., 26 f.

[10]        Ibid. 26, Fußnote 196.

[11]        Vgl. weiter oben J. RATZINGER, Gesammelte Schriften, 38.

 

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