"Der Streit um das II. Vaticanum dauert an. Was hat es wirklich sagen wollen? Wie wird es richtig im Leben der Kirche angeeignet? Dies ist kein Streit, der im Raum gelehrter Theorien bleibt - das Geschick der lebendigen Kirche steht dabei auf dem Spiel." Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
Ein Pastoralkonzil
Am 11. Oktober 1962 eröffnete Papst Johannes XXIII. mit seiner Ansprache Gaudet Mater Ecclesia das Zweite Vatikanische Konzil. Es war ein Konzil sui generis, ein Konzil besonderer, eigener Art. Es sollte ausweislich der Eröffnungsrede des Papstes kein dogmatisches Konzil, sondern ein Pastoralkonzil sein, das die überlieferte Lehre positiv ohne Verurteilungen darlegt, den ökumenischen Dialog sucht und die Kirche an die moderne Zeit heranführt. Papst Paul VI. hat dieses pastoral-ökumenische Anliegen des Konzils nochmals in seiner Eröffnungsansprache zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode des Konzils am 29. September 1963 hervorgehoben.
Keine Unfehlbarkeit, aber Ausdruck des authentischen Lehramtes
Schon während des Konzils traten zwei Richtungen hervor: Die eine suchte den Fortschritt, die andere betonte die Tradition (wobei die den Fortschritt suchende Position eigentlich auch eine konservative war, denn sie wollte eine Erneuerung der Kirche von den Quellen her: aus der Heilige Schrift und aus den Schriften der Kirchenväter [Nouvell Théologie]), wie O. H. Pesch feststellt. Lesen Sie hierzu mehr auf der Steite "Kompromissformeln". Die Versöhnung beider Positionen führte in der Formulierung der Texte häufig zu Kompromissformeln, in denen zwei Positionen unvermittelt nebeneinander gestellt wurden (sog. Juxtaposition, von Lat.: iuxta ponere). Sie bergen das Risiko, dass die eine zu Lasten der anderen überzogen wird, was auch nach dem Konzil in der Umsetzung eingetreten ist. Man denke nur an das Verhältnis von Klerikern und Laien oder die Spannung zwischen Universal- und Partikularkirche.
Bruch nach dem Konzil
Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, dass sich nach dem Konzil in Bezug auf die Interpretationein der Konsilstexte eine Hermeneutik herauskristallisierte, die davon ausging, dass das Zweite Vatikanische Konzils nicht von seinen Texten her, sondern von seinem "Geist" her interpretiert und umgesetzt werden müsse. Es entwickelte sich eine "Hermeneutik der Diskontinuität", d. h. des Bruches (vgl. die Schulen von Bologna, Leuven und Münster) mit der 2000jährigen Tradition der Kirche. Diese Hermeneutik ist mitveranwortlich für die Kirchenkrise nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Gegen diese sich auf einem sog. "Geist" des Konzils sich berufenden Tendenzen hat das nachfolgende Lehramt (Pauls VI., Johannes Pauls II, Benedikts XVI.) mehrmals korregierend eingreifen müssen. Beispiele hierfür aus jüngster Zeit sind u. a. die Instruktion Ecclesia de mysterio von 1997 über die Mitarbeit von Laien mit den und das Schreiben der Glaubenskongregation Dominus Iesus vom 6. August 2000, das christologische und ekklesiologische Aussagen des Konzils, die nach dem Konzil in eine Schieflage geraten sind, in Erinnerung rief und richtigstellte.
Hermeneutik der Reform in Kontinuität
Papst Benedikt XVI. hat in seiner Ansprache vom 22. Dezember 2005 an die Römische Kurie daran erinnert, dass für die Interpretation der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils die "Hermeneutik der Reform in Kontinuität" ausschlaggebend sei: Das Konzil stellt keinen Bruch dar, sondern steht in der Tradition aller Konzilien der gesamten Kirchengeschichte und aller bisherigen Aussagen des Lehramtes der Kirche.